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BFI Capital
November 12, 2025

Das Ende einer Ära: Deutschland am kritischen Wendepunkt

Durch das sorgfältige Vermeiden rücksichtsloser Ausgaben oder übermässiger Kreditaufnahmen zählte Deutschland lange als Sinnbild finanzpolitischer Umsicht. So war es auch Deutschland, das zu Disziplin und Sparsamkeit aufrief, als die hoch verschuldeten Europäischen Südstaaten das EU-Projekt gefährdeten. Die heutigen Deutschen Ansätze bilden einen starken Kontrast zu der damaligen Haltung. Was dies für Steuerzahler, Sparer und den gesamten Euroraum bedeutet, darf nicht unterschätzt werden.

Der frühere Erfolg des Landes basierte im Wesentlichen auf einer einfachen Formel: eine breite Exportbasis, plus eine starke Erwerbsbevölkerung und - vor allem - fiskale Disziplin. Die "Schuldenbremse" spielte dabei eine zentrale Rolle. Diese begrenzte die maximale Kreditaufnahme auf 0.35% des Deutschen BIP - eine strenge Limite verglichen mit den generellen EU-Haushaltsregeln, die erst bei 3% die Grenze ziehen oder mit dem letztjährlichen US Bundesdefizit von insgesamt 6.4%. Diese eindeutig in der Verfassung verankerte Disziplin hatte den Politikern weitgehend die Hände gebunden und hielt deren Ausgabe-Ambitionen im Zaum. Während der Finanzkrise 2009 führten Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück die Schuldenbremse ein. 2016 wurde diese für die Bundesregierung rechtsverbindlich.

Kein anderes G7-Land hatte so strenge Grenzen für die Neuverschuldung. Das funktionierte jahrelang gut, da es der deutschen Regierung gelang, ihre Ausgaben im Rahmen der Schuldenbremse zu halten und oft sogar kleine Überschüsse zu erzielen.

Doch die Covid Krise, die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, die sinkende Erwerbsbeteiligung und der Einmarsch Russlands in die Ukraine setzten das Land unter Druck. 2020 berief sich die Regierung auf eine Notfallklausel, um Kredite aufnehmen und mehr für die Pandemiebekämpfung ausgeben zu können. Dies wiederholten sie sowohl 2021 als auch 2022, um mehr Verteidigungsausgaben zu ermöglichen. Dieses Muster setzte sich auch 2023 mit einer weiteren Ausnahmegenehmigung fort. Angesichts dieser Anhäufung von Ausnahmen entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Regierung mit ihrer kontinuierlichen Inanspruchname der Ausnahmeregelungen zu weit gegangen sei. Die Debatte um die Schuldenbremse führte im November schliesslich zum Ersatz des damaligen sozialdemokratischen Bundeskanzlers, Olaf Scholz - sogar seine Koalitionspartner stimmten in dieser Frage nicht mit ihm überein. 

Im Jahr 2025 beschloss die neue Regierung, sich ganz von den Beschränkungen der Schuldenbremse zu lösen und viele der (äusserst wichtigen) Kontrollmechanismen abzuschaffen. Der neue finanzpolitische Rahmen hat Kernelemente der Schuldenbremse abgeschafft und den Weg für eine Welle der Neuverschuldung geebnet. Es dauerte in der Tat nicht lange, bis die Politiker ihren neuen gesetzgeberischen Spielraum voll auskosteten: Es wurde ein 500 Milliarden Euro schweres "Sondervermögen" zur Finanzierung von Ausgaben für Verkehr, Krankenhäuser, Energie und Bildung angekündigt, welches von den Regeln der Schuldenbremse 'befreit' wurde. Auch die Verteidigungsausgaben können nun über 1% BIP steigen (die bisherige Grenze nach den alten Regeln) und die Bundesländer erhalten mehr Spielraum für die Kreditaufnahme. 

Die Auswirkungen sind auf vielen Ebenen klar. Zum einen - wie viele andere fortgeschrittene Volkswirtschaften sehr gut wissen - ist der Ausbau der Verschuldung nie ein Problem, wenn jedoch das Wirtschaftswachstum schwach bleibt, schafft diese beliebte "Lösung" mehr Probleme als in der Ausgangslage vorhanden waren. So kreieren Regierungen gerne und schnell in eine untragbare Schuldenlast, die sie jedoch nie auflösen - zumindest nicht, ohne Ihren Bürgern ernsthafte finanzielle Schmerzen zuzufügen. Das Vertrauen der Anleger wird zwangsläufig beeinträchtigt, die Verdrängung privater Investitionen wird zur berechtigen Sorge und die Befürchtungen um steigenden Inflationsdruck wachsen. 

Zudem gibt es ein weiterer Punkt, der in den Debatten über die Lockerung der Schuldenbremse zu wenig Aufmerksamkeit bekommt: Die Auswirkungen auf die Generationengerechtigkeit und auf den Sozialvertrag. Während ältere Steuerzahler höhere Renten und Leistungen erhalten, müssen jüngere Arbeitnehmer mit einem längeren Arbeitsleben, potenziell höheren Steuern und durch Inflation massiv aufgezehrte Renten rechnen. Dies setzt das soziale Gefüge unter Druck. Die derzeitige Regierung scheint den Weg in genau diese Zukunft bereits zu ebnen. Ein Expertengremium hat Bundeskanzler Friedrich Merz kürzlich die Empfehlung unterbreitet, das Renteneintrittsalter bis 2060 von derzeit 65 auf neu 73 Jahre anzuheben. Der Bundeskanzler hatte bereits davor gewarnt, dass die Deutschen bereit sein müssten, länger und härter zu arbeiten, um die alternde Bevölkerung und die schwächelnde Wirtschaft zu unterstützen. Nach dieser dezenten Andeutung des Kanzlers, dass Deutsche Arbeitnehmer nicht hart genug arbeiten, setzte dieser Vorschlag des Expertengremiums noch das Sahnehäubchen oben drauf. 

Dass Regierungen ihre Bürger für ihre eigene finanzielle Misswirtschaft und Ausgaben über ihre Verhältnisse zur Kasse bitten, ist nichts Neues, aber in Deutschland wird es sicherlich einen Nerv treffen, nachdem die Politiker ihre eigenen verfassungsmässigen Regeln umgangen haben, um mehr Geld auszugeben und Kredite aufzunehmen. Dies wird potenziell weitreichendere politische und soziale Auswirkungen haben, was Anleger und Sparer gleichermaßen im Auge behalten sollten.

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