Deflation oder Inflation? Entscheiden Sie selbst...
Die Frage, ob wir nach dem weltweiten wirtschaftlichen Schock durch die COVID-19-Pandemie (oder genauer gesagt, nach den Abriegelungsmaßnahmen, die als Reaktion darauf ergriffen wurden) auf eine deflationäre oder inflationäre Zukunft zusteuern, wird heftig diskutiert. Tatsache ist, dass das niemand weiß. Wie bei jedem komplexen System ist es unmöglich, die Zukunft der Weltwirtschaft genau vorherzusagen, selbst mit den ausgefeiltesten Computermodellen. Wir können allenfalls eine fundierte Vermutung anstellen.
Vor ein paar Wochen, am 22. April, veröffentlichten wir einen Artikel mit dem Titel "Anschnallen: Die "Stuckflation"-Achterbahn fährt geradeaus!" Wir haben daraufhin eine ganze Reihe von Kommentaren und Rückmeldungen erhalten. Ich möchte mich bei allen bedanken, die sich die Zeit genommen haben, uns ihre Meinung mitzuteilen. Ein Kommentar, bzw. eine Frage, schien dominierend und lief auf Folgendes hinaus: "Erwarten Sie einen Anstieg der Inflation?".
In dem Artikel habe ich mich dazu eigentlich nicht geäußert. Allerdings scheint der Begriff "stuckflation" - oder zumindest der "flation"-Teil des Begriffs - das Interesse an der Frage Inflation vs. Deflation ausgelöst zu haben.
Ich wünschte, ich hätte eine klare und kurze Antwort auf diese Frage. Leider lautet meine unmittelbare und ehrliche Antwort darauf: Ich weiß es nicht. Ich muss jedoch sagen, dass ich zum jetzigen Zeitpunkt und kurz- bis mittelfristig - und wenn ich wetten würde - auf eine deflationäre Phase setzen würde, und zwar möglicherweise eine lange und schmerzhaft ausgedehnte.
Andererseits wissen wir aus der Geschichte, dass sich in wirtschaftlich sehr unausgewogenen und unsicheren Zeiten die Spannungen entladen und die Kräfte schnell und unerwartet umschlagen können. Daher würde ich einen plötzlichen Anstieg der Inflation und längerfristig sogar eine Hyperinflation nicht ausschließen.

Der COVID-19-Schock hat zu Kräften geführt, die in beide Richtungen wirken
Kurz gesagt, der Angebotsschock, der durch das Stocken der Lieferketten ausgelöst wird (inflationär), muss gegen den Rückgang der Gesamtnachfrage (deflationär) abgewogen werden. Es ist schwierig, das Ausmaß dieser Kräfte zu messen. Nach Angaben von Reuters verzeichneten die Verbraucherpreise in den USA aufgrund der Störungen durch das Coronavirus bisher den stärksten Rückgang seit fünf Jahren.
Die Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die Preisinflation - bis jetzt

Quelle: Reuters
Hier sind einige Faktoren, die zur Preisinflation beitragen:
- Die US-Notenbank und andere globale Zentralbanken und Regierungen schaffen unglaubliche Mengen an Liquidität. Die US-Notenbank soll ein Konjunkturprogramm von 6 Billionen Dollar (!) geschaffen haben.
- Die Versorgungsketten, national und mehr noch international, sind unterbrochen worden. In einer globalisierten Welt wie der unseren sind die Dominoeffekte und Kollateralschäden schwer zu messen. Der Rückgang der Produktion und des Outputs dürfte ceteris paribus zu höheren Preisen für Waren und Dienstleistungen führen.
- Die Inflationserwartungen haben zugenommen. Steigende Inflationserwartungen werden im Allgemeinen als Frühindikator für eine bevorstehende Inflation angesehen. Ein Grund für die steigenden Inflationserwartungen ist die De-Globalisierung und eine "zweite Runde" der Handelskriege mit China. Diesmal scheint sich Europa auf die Seite der US-Regierung zu schlagen, was bedeutet, dass eine tiefgreifendere Umstrukturierung der Lieferketten zu erwarten ist, um unabhängiger von China und autarker bei der Produktion von als strategisch wichtig erachteten Gütern zu werden.
Außerdem gibt es Faktoren, die zur Preisdeflation beitragen:
- Nach Angaben des Wall Street Journal sind in den USA in dieser Krise bisher 20,5 Millionen Arbeitsplätze (!) abgebaut worden. Die Arbeitslosenquote stieg im April auf einen Rekordwert von 14,7 % und übertraf damit die bisherige Rekordquote von 10,8 % für Daten, die bis ins Jahr 1948 zurückreichen. Arbeitslosigkeit dämpft natürlich den Konsum.
- Auch die sinkenden Einkommen und die Schließung von Unternehmen aufgrund der Sperre führen zu einem Rückgang der Nachfrage und damit zu einer deflationären Wirkung.
- Schließlich ist die Geldumlaufgeschwindigkeit weiterhin auf einem Rekordtief und sinkt weiter. Daher sind die Maßnahmen der Federal Reserve wie das Ziehen an einer Schnur. Es gelingt ihnen weiterhin nicht, die Realwirtschaft anzukurbeln.
Und es gibt natürlich noch mehr Variablen. Einige Beobachter verweisen auf die niedrigeren Rohstoffpreise, insbesondere die rekordtiefen Ölpreise. Andere verweisen auf den sehr starken Anstieg der Haushaltsdefizite und der Zentralbankbilanzen und sehen eine Inflation, vielleicht sogar eine hohe Inflation, voraus. Was ist also unsere Erwartung beim BFI?
Die Bedeutung der niedrigen Geldumlaufgeschwindigkeit
Bei BFI ist unser wahrscheinlichstes Szenario für die nächsten 12 Monate eine deflationäre Rezession. Für die nächsten 12 bis 24 Monate erwarten wir das Szenario der "stuckflation", wie in unserem oben genannten Artikel vom April beschrieben. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus deflationären und inflationären Tendenzen. Längerfristig werden die Chancen auf eine steigende Inflation zunehmen. Und leider ist die Wahrscheinlichkeit eines Szenarios wie in der Weimarer Republik, d. h. einer längeren Depression mit Phasen hoher Inflation, sehr hoch.
Aber im Moment scheint uns die nächste Station die DEFLATIONÄRE REZESSION zu sein. Warum ist das so?
In den letzten Jahrzehnten wurde der Einsatz einer immer aktiveren Steuer- und Geldpolitik zu den wichtigsten Instrumenten, die von Ökonomen und Politikern gleichermaßen als Reaktion auf jede Krise und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit empfohlen wurden. Dieser keynesianische Ansatz zur "Steuerung" der Wirtschaft ist zu einem globalen Phänomen geworden und hat einen gewissen religiösen Charakter angenommen.
Heute ist es schwer, für irgendeine Form eines wirklich freien Marktzyklus oder die Notwendigkeit von Sparmaßnahmen zu argumentieren. Die Stimmen, die solche Vorschläge machen, werden gemieden und eliminiert, ähnlich wie die Stimmen, die es wagen könnten, einen nicht konsensfähigen Ansatz zum Umgang mit der globalen Erwärmung vorzuschlagen.
Fairerweise muss man sagen, dass Keynes seine Wirtschaftstheorie als Reaktion auf die Große Depression entwickelte. Und es ist klar, dass die politischen Maßnahmen, die auf der Grundlage dieser Theorie entwickelt wurden, erfolgreich waren, um Rezessionen abzuwenden oder zumindest die Finanzmärkte zu retten. Die Frage ist jedoch, zu welchem Preis? Werden die Kollateralschäden und die zunehmende wirtschaftliche Kontrolle durch die Regierung letztlich zu einer Art Planwirtschaft und einem sozialistischen Regime führen? Wenn ja, wissen wir alle aus reichhaltiger Erfahrung, wozu das führt, wirtschaftlich und sozial.
Gesamtvermögen der Federal Reserve

Quelle: fred.stlouisfed.org, Board of Governors des Federal Reserve System (US)
Aber ich schweife ab. Um die Wirtschaft wieder einmal zu "managen" und wirtschaftlichen Schmerz zu vermeiden, haben die Zentralbanken den Geldhahn noch ein wenig weiter geöffnet. Wie in der obigen Grafik zu sehen ist, wurden allein in den letzten zwei Monaten weitere 2 Billionen Dollar in die Bilanz der Fed aufgenommen. Dieser geldpolitische Stimulus übertrifft alles, was die Fed in der Krise 2008/2009 getan hat.
Immer mehr billiges Geld wird in das System gepumpt. Die Zinssätze sind auf einem Rekordtief. Die Renditen von Staatsanleihen liegen bei oder unter Null. Die Frage ist: Wird all diese zusätzliche Liquidität zu mehr Wachstum führen?
M2 Geldmenge (in Milliarden Dollar)

Quelle: fred.stlouisfed.org, Federal Reserve Bank of St. Louis
Umlaufgeschwindigkeit der Geldmenge M2

Quelle: fred.stlouisfed.org, Federal Reserve Bank of St. Louis
Das bezweifeln wir. Die erhöhte Liquidität hat schon lange aufgehört, das BIP zu stützen. Sie hat vor allem den Preis von Finanzanlagen gestützt, indem sie die Aktienmärkte gestützt und Schulden zu immer niedrigeren Preisen (Zinsen) finanziert hat. Und warum? Nun, das Problem ist wieder einmal ein multivariates Problem. Hier ist jedoch eine etwas vereinfachte Gleichung der Quantitätstheorie des Geldes. Möglicherweise kann sie zur Erklärung beitragen:
M*V = P*Q
Wobei: M = Geldmenge V = Geldumlaufgeschwindigkeit P = Durchschnittliches Preisniveau
Q = Volumen der Transaktionen von Waren und Dienstleistungen
Kurz gesagt könnte man vereinfacht sagen, dass Geldmenge mal Geldumlaufgeschwindigkeit gleich BIP ist. Wenn also die Geldumlaufgeschwindigkeit gleich bleibt, wird der Theorie zufolge ein Anstieg der Geldmenge das BIP erhöhen.
Woher kommt also die Geldumlaufgeschwindigkeit? Sie kommt von Dingen wie Innovation, Effizienz und Unternehmertum, also von Dingen, die die Lebensfähigkeit und Wachsamkeit einer Wirtschaft erhöhen. Auf der anderen Seite stehen Bürokratie, Vorschriften und eine hohe Staatsquote, d. h. ein großer oder wachsender Anteil des öffentlichen Sektors. Darüber hinaus wird ein Mangel an Vertrauen in die eigene wirtschaftliche Zukunft, zum Beispiel aufgrund zunehmender Ängste vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes verringern. Dies wird dazu führen, dass die Menschen mehr sparen. Sie geben nicht aus. Wie in der nachstehenden Grafik dargestellt, verzeichnen die USA derzeit die höchste private Sparquote seit fast 40 Jahren.
Persönliche US-Sparquote (30. April 2020)

Quelle: fred.stlouisfed.org, Federal Reserve Bank of St. Louis
Die Geldumlaufgeschwindigkeit ist seit langem rückläufig. Und dieser Trend ist nicht nur in der amerikanischen Wirtschaft zu beobachten. Aufgrund des zunehmenden Eindringens der Regierungen in den privaten Sektor weltweit wird die Geldumlaufgeschwindigkeit immer weiter reduziert. Um das BIP zu stützen und Rezessionen zu vermeiden, ist daher logischerweise eine ständig steigende Geldmenge zu einem immer niedrigeren Preis (Zinssatz) erforderlich. Die Geldmenge zu erhöhen, während die Umlaufgeschwindigkeit schrumpft, ist jedoch wie das Ziehen an einer Schnur. Die Zentralbanken erhalten immer weniger Geld für ihr Geld".
Solange die Geschwindigkeit nicht zunimmt oder andere Faktoren zu höheren Zinssätzen führen, bezweifeln wir, dass wir ein Ende des Deflationsszenarios erleben werden. Die Chancen sind recht hoch, dass die Deflation noch einige Zeit die Oberhand behalten wird. Das heißt aber nicht, dass Inflation ausgeschlossen werden sollte. Wir wissen mit Sicherheit, dass buchstäblich die gesamte entwickelte Welt und ein großer Teil der Schwellenländer eine monetäre und fiskalische Expansion wie nie zuvor durchlaufen. In gewisser Weise ist das wie ein universelles Grundeinkommen, das durch die moderne Geldtheorie finanziert wird. Letztlich ist das von Natur aus inflationär.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Je länger und tiefer die derzeitige Rezession andauert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Inflation zunimmt. In jedem Fall wird eine umsichtige Anlagestrategie auf dem Weg nach vorn die Auswirkungen von Inflation und Deflation berechnen und berücksichtigen!
