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BFI Capital
Juni 15, 2020

Felix Zulauf: "Wir haben die grössten Exzesse seit Generationen geschaffen"

Wenn es auf den Finanzmärkten turbulent zugeht, ist Erfahrung gefragt. Felix Zulauf hat in seiner fast fünfzigjährigen Karriere als Anleger und Marktbeobachter viele Boom- und Bust-Zyklen erlebt. Er ist ein scharfer Kritiker der Zentralbanken. "Wir haben vergessen, dass Rezessionen ein natürlicher Teil des Konjunkturzyklus sind", sagt er.

Im folgenden ausführlichen Interview erklärt Felix Zulauf, wie der Abschwung (nach Ausbruch der aktuellen Krise) zu interpretieren ist, wann und wo er Kaufgelegenheiten sieht und warum er hofft, dass die Covid-19-Krise zu einem grundlegenden Umdenken in der Finanzwelt führt. "Es ist eine Katastrophe, dass unsere Zentralbanken während der Expansion eine viel zu lockere Geldpolitik betrieben haben. Das hat die Schuldenexzesse angeheizt", so Zulauf.

Herr Zulauf, die Aktienmärkte haben im März einen starken Einbruch erlitten. Haben Sie schon einmal einen derartigen Absturz erlebt?

Die Intensität erinnert mich an 1987, aber die Geschwindigkeit ist ohne Beispiel. Es ist einzigartig, dass die Aktienmärkte innerhalb von zwei Wochen um mehr als 30 % einbrechen, direkt von ihrem historischen Höchststand. Aber auch die fundamentale Situation ist einmalig. Ich bin seit fast fünfzig Jahren in der Wirtschaft tätig, aber ich habe noch nie erlebt, dass die Weltwirtschaft so schnell zusammengebrochen ist. Vielen Menschen ist immer noch nicht klar, welch enormer wirtschaftlicher Schaden durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie entstanden ist. Die Welt wird danach nicht mehr dieselbe sein.

Ist der wirtschaftliche Schaden größer als nach der globalen Finanzkrise 2008?

Ja. 2008 war in erster Linie eine Immobilien- und Bankenkrise, die durch Ansteckungseffekte auf andere Branchen übergriff. Die meisten Dienstleistungssektoren blieben jedoch unversehrt. Diesmal sind alle Sektoren betroffen, insbesondere die Dienstleistungen. Tourismus, Restaurants, Friseure, unzählige kleine Unternehmen: Wenn sie zwei Monate lang schließen müssen, versiegt ihr Cashflow und sie können nicht überleben. Das ist wohl einmalig in der Geschichte.

Nach Schätzungen des Ifo-Instituts in München führt eine solche Sperrung zu einem Verlust der Wirtschaftsleistung von 7 bis 11 % nach zwei Monaten und bis zu 20 % nach drei Monaten. Der Rückgang hängt von der Dauer der Beschränkungen ab. Alles in allem wird die Wirtschaft in der ersten Jahreshälfte einen brutalen Absturz erleben. Wenn die Behörden in aller Welt klug handeln, werden wir in der zweiten Jahreshälfte eine Stabilisierung erleben.

Erwarten Sie nicht eine V-förmige Erholung der Wirtschaft, wenn der schlimmste Teil der Pandemie vorbei ist?

Nein, denn die Rezession setzt einen Dominoeffekt in Gang. Alle Exzesse der Expansion der letzten zehn Jahre kommen jetzt an die Oberfläche. Zur Erinnerung: Die Gesamtverschuldung der Welt ist heute im Vergleich zur Wirtschaftsleistung mehr als doppelt so hoch wie im Jahr 2007. Wir haben die größten Auswüchse seit Generationen geschaffen. Diese Schulden verstärken nun den Abwärtsdruck. Hinzu kommt, dass sich die Weltwirtschaft bereits vor dem Stillstand von Covid-19 in einem Abschwung befand. Es war absehbar, dass sich die Wirtschaft im Jahr 2020 verlangsamen würde, so dass es richtig war, das Jahr mit einer Untergewichtung in Aktien und einer Übergewichtung in Anleihen zu beginnen. Dann kam der Covid-19-Schock. Und zu alledem kam Anfang März der Beginn eines neuen Preiskriegs auf dem Ölmarkt.

Ist ein niedrigerer Ölpreis nicht gut für die Weltwirtschaft?

Nein, in diesem Fall nicht. Die Schieferölindustrie in den Vereinigten Staaten ist praktisch bankrott. Die ausstehenden Schulden dieser Unternehmen belaufen sich auf mehr als 900 Mrd. $. Die Risikoprämien im Hochzinssegment, wo die Anleger jahrelang nicht auf die Bilanzqualität der Schuldner geachtet haben, schießen nun in die Höhe. Das frisst sich durch das Finanzsystem, gefährdet die Refinanzierung vieler Unternehmen und beeinträchtigt damit auch die Realwirtschaft. Das zeigt einmal mehr, wie gefährlich ein übermäßiger Aufbau von Unternehmensschulden ist.

"Unsere gesamte Gesellschaft hat vergessen, wie man Verantwortung übernimmt. Wir haben vergessen, dass das Leben aus Rückschlägen besteht und dass man Sicherheitsmargen für schwierige Zeiten haben muss".

~ Felix W. Zulauf

Die Zentralbanken pumpen Liquidität in das System, die Regierungen legen Hilfsprogramme auf. Ist das sinnvoll?

Fiskalpolitische Maßnahmen können erst wirken, wenn die Beschränkungen aufgehoben werden und die Menschen sich wieder bewegen dürfen. Danach wirken sie erst stützend und später stimulierend. Die gigantischen Beträge, die die Zentralbanken in das System pumpen, muss man sich folgendermaßen vorstellen: Sie stopfen das riesige deflationäre Loch, das die Covid-19-Krise aufgerissen hat, und sie verhindern den Zusammenbruch unseres Finanzsystems. In diesem Sinne ist das die richtige Politik. Wenn sich die Wirtschaft dann normalisiert, können diese Liquiditätsspritzen eine inflationäre Wirkung haben. Natürlich glauben die Zentralbanken, dass sie diese Liquidität wieder abschöpfen könnten, aber sie haben im letzten Zyklus gezeigt, dass dies ein frommer Wunsch blieb.

Sind diese Förderprogramme Ihrer Meinung nach überhaupt notwendig?

Während der Krise: ja. Im Prinzip sollte die Fiskalpolitik jedoch über den Zyklus hinweg ausgeglichen sein; in der Krise die Staatsverschuldung erhöhen und in der Expansion reduzieren. Aber abgesehen vielleicht von der Schweiz hält sich niemand an dieses Prinzip. Nehmen Sie zum Beispiel Frankreich: Dort gibt es seit fast vierzig Jahren keinen ausgeglichenen Haushalt mehr. Sie wissen nicht einmal, was ein Überschuss ist. Das gleiche Prinzip gilt für die Geldpolitik: Es ist eine Katastrophe, dass unsere Zentralbanken während der Expansion eine viel zu lockere Geldpolitik betrieben haben. Das hat die Schuldenexzesse angeheizt. Das Problem mit den Zentralbanken beginnt eigentlich damit, dass eine Handvoll Leute glaubt, die Wirtschaft kontrollieren zu können. Das ist anmaßend. Es ist diese Haltung, die unser marktwirtschaftliches System schwächt. Rezessionen sind ein natürlicher Teil des Wirtschaftskreislaufs. Unternehmen, die fahrlässige Fehler machen, müssen bestraft und beseitigt werden. Wir müssen als Gesellschaft aushalten, dass es nicht nur Schönwetterphasen gibt, sondern auch immer mal wieder Rezessionen. Wenn wir das nicht mehr akzeptieren können, dann sind wir nicht mehr zu retten. Dann ebnen wir nur den Weg zu einer Planwirtschaft mit langfristig sinkendem Wohlstand.

Erwarten Sie in dieser Krise einen "Lehman-Moment", also den Zusammenbruch eines großen Marktteilnehmers?

In jeder Krise gibt es Unternehmen, die untergehen. Das wird dieses Mal nicht anders sein. Angesichts der übermäßigen Verschuldung des Unternehmenssektors muss man mit einigen spektakulären Pleiten rechnen. Aber angesichts der Geschwindigkeit, mit der die Zentralbanken gehandelt haben - viel schneller als 2008 -, wird dies das Finanzsystem nicht mehr per se bedrohen.

Besteht die Gefahr einer Bankenkrise?

Bei so viel Stress im Finanzsystem ist diese Gefahr immer gegeben. In dieser Hinsicht mache ich mir am meisten Sorgen um Europa, denn es hat die strukturell schwächste Wirtschaft und das schwächste Bankensystem. Durch das starre Regime der gemeinsamen Währung werden die schwächeren Mitglieder der Eurozone nicht in den Genuss einer Abwertung ihrer Währung kommen. Der einzige Faktor, den man heute betrachten muss, ist die Unternehmensverschuldung in Prozent des BIP. In den USA liegt diese Kennzahl derzeit bei 75 %, in Deutschland bei 95 %, in Italien bei 100 %, in der Schweiz bei 120 % und in Frankreich bei 200 %. Ich mache mir Sorgen um Italien und Spanien, aber noch mehr Sorgen mache ich mir um Frankreich und seine Banken. Im letzten Zyklus haben die Franzosen bei der Kreditvergabe das große Rad gedreht und es völlig übertrieben. Ich bezweifle, dass die europäischen Banken über genügend Kapital verfügen, um uneinbringliche Forderungen auffangen zu können. Ich denke, eine Verstaatlichung einiger Banken in der Eurozone wird unvermeidlich sein.

Ist der Euro wieder in Gefahr?

Die Eurozone steht vor einer wichtigen Prüfung. Der Euro ist eine Fehlkonstruktion. Die Nordgruppe hat sich bisher - verständlicherweise - gegen eine Vergemeinschaftung der Schulden gewehrt. Doch wenn die nördlichen Euro-Mitglieder in der aktuellen Krise so weitermachen, werden die schwachen Staaten im Süden nicht umhin kommen, Kapitalkontrollen einzuführen. Andernfalls werden sie eine Kapitalflucht in den Norden erleiden, und ihre Banken werden zusammenbrechen. Stimmen sie hingegen einer Vergemeinschaftung der Schulden zu, werden die bisher starken Länder wie Deutschland oder die Niederlande von den schwachen mit in den Abgrund gezogen und mit ihnen der gesamte Kontinent. Der Übergang zu einer zentralisierten Staatswirtschaft wie in Frankreich wäre dann unausweichlich, und der Wohlstand würde in ganz Europa sinken. Die kommenden Monate werden für die Zukunft Europas entscheidend sein.

Wie geht es mit den Aktienmärkten weiter?

Die Aktienmärkte stehen am Anfang eines Bodenbildungsprozesses. Die von den Behörden ergriffenen Maßnahmenpakete stützen das Vertrauen der Marktteilnehmer. Es handelt sich um einen mehrwöchigen Prozess, bei dem Rückschläge auf die Tiefststände von Ende März oder sogar leicht darunter nicht ausgeschlossen werden können.

Wodurch werden diese Rückschläge ausgelöst?

Im April werden die Unternehmen ihre Zahlen für das erste Quartal vorlegen. Dann werden Sie die ersten konkreten Anzeichen für den wirtschaftlichen Schaden sehen. Die Aussichten für die Unternehmen werden düster sein, weil sie keinerlei Einblick in den Geschäftsverlauf haben. Unklar ist auch, wann die Schuldenprobleme in China und anderen Schwellenländern auftauchen werden. Beides könnte zu Rückschlägen an den Aktienmärkten führen. Und sollten die Pandemiekurven nicht so schnell abflachen, wie wir heute annehmen, werden die Märkte erneut einbrechen. Im Laufe der nächsten Wochen sollten wir allmählich mehr Klarheit gewinnen, und dann kann eine nachhaltige Erholung der Aktien beginnen.

Wie lange wird diese Erholung dauern?

Das wird von den Entwicklungen in der Realwirtschaft und dem Verhalten der Behörden abhängen. Ich würde bezweifeln, dass das Vertrauen der Anleger und die gute Laune so schnell zurückkehren werden. Wir wissen auch nicht, wie es mit der Pandemie im nächsten Winter weitergehen wird. Ich gehe derzeit davon aus, dass der größte Schaden für die Märkte im Moment hinter uns liegt, dass wir noch eine Zeit lang große Schwankungen erleben werden und dass die Aktienkurse dann gegen Ende des Jahres steigen werden. Meine Erwartungen für danach hängen von neuen Informationen ab.

Wann würden Sie wieder Aktien kaufen?

Wenn Sie mit Schwankungen leben können, können Sie während der Rückschläge in den nächsten Wochen kaufen. Viel Negatives ist eingepreist, und die Zentralbanken stützen das System. Aber bedenken Sie: Wenn Sie sich den Stoxx 600, den Index mit den 600 größten europäischen Unternehmen, ansehen, dann hat er sich in den letzten 20 Jahren weitgehend in einer Seitwärtsbewegung mit großen Schwankungen befunden. Das ist ein schwieriges Umfeld, und ich erwarte, dass das so bleibt.

Was ist mit Anleihen?

Die Renditen für erstklassige Schuldner sind seit fast vierzig Jahren unter Schwankungen zurückgegangen. Wir haben nun das Ende eines Generationszyklus in Bezug auf die Renditen erreicht. Anleihen müssen heute entweder verkauft werden oder haben nur noch kurze Laufzeiten, was keine Renditevorteile mehr bringt. Europäische Anleihen sind aufgrund der von mir beschriebenen Risiken im Euro am meisten gefährdet. Ich würde sie meiden.

Ist die vierzigjährige Hausse am Anleihemarkt vorbei?

Die Finanzbehörden und die Zentralbanken führen Programme durch, die sich mit der Zeit inflationär auswirken werden. Dementsprechend werden die Zinssätze wieder steigen, zunächst am langen Ende und nach einigen Jahren auch am kurzen Ende. Wir werden eine inflationäre Wirtschaftspolitik haben, die zwar die Inflation, nicht aber den Wohlstand in die Höhe treibt. Das ist schlecht für normale festverzinsliche Anlagen.

Wird dies ein günstiges Umfeld für Gold sein?

Gold ist ein unproduktiver Vermögenswert. Sein Preis hängt vom Vertrauen ab, das die Anleger in die Politik der Behörden haben. Ich erwarte, dass sich das neue Jahrzehnt positiv auf den Goldpreis auswirken wird, denn die Zentralbanken werden unsere Papierwährungen weiter abwerten, und das Vertrauen in die Politik wird abnehmen. Gold sollte daher in jedem Portfolio vertreten sein.

Glauben Sie, dass die aktuelle Krise das Verhalten der Anleger verändern wird?

Ich hoffe es. Wir sollten eigentlich wissen, dass das Leben ein Risiko ist. Als Gesellschaft, als Unternehmen und als Investor muss man auf Krisen und Rückschläge vorbereitet sein. Es ist klar, dass unser Gesundheitssystem auf eine solche Krise nicht vorbereitet war. Und erst jetzt stellen wir fest, dass 70 % der Grundstoffe für die Pharmaindustrie aus China kommen. Das ist wahnsinnig. Ich bin ein Befürworter des Freihandels, aber die heutige Krise zeigt, wie fragil unsere weit verzweigten Lieferketten sind. Was mich auch beunruhigt, ist das kurzfristige Denken der Manager, die ihre Unternehmen mit Schulden aufgebläht haben, um Aktienrückkäufe zu finanzieren. Das ist einfach fahrlässig. Diese Manager sollten entlassen werden. Es mangelt überall an persönlicher Verantwortung, nicht nur bei Managern. Unsere gesamte Gesellschaft hat vergessen, wie man Verantwortung übernimmt. Wir haben vergessen, dass das Leben aus Rückschlägen besteht und dass man Sicherheitsmargen für schwierige Zeiten haben muss. Wir leben in einer verwöhnten Gesellschaft, in der die Menschen meinen, sie hätten ein Recht auf ein wunderbares Leben. Nun, dieses Recht gibt es in der Realität nicht. Und der ständige Hilferuf nach Zentralbanken und Regierungen, wenn es regnet, wird uns allmählich Freiheit und Wohlstand kosten.

Felix W. Zulauf ist Gründer und Eigentümer von Zulauf Vermögensverwaltungmit Sitz in Baar, Schweiz, die Anlageberatung für Kunden weltweit anbietet. Er hat fast fünfzig Jahre im professionellen Investmentgeschäft verbracht. Dreißig Jahre lang war er Mitglied des berühmten Barron's Roundtable.

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